Cover
Titel
Midlife Crisis. The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché


Autor(en)
Schmidt, Susanne
Erschienen
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 87,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roberta Maierhofer, Zentrum für Inter-Amerikanische Studien, Universität Graz

Während die Jugend und zunehmend das Alter als Lebensphasen das Interesse verschiedener Wissenschaftszweige erwecken, ist die Mitte des Lebens weniger häufig Thema von Studien oder Recherchen. Am einprägsamsten wurde diese Lebenszeit vom Begriff Midlife-Crisis adressiert, wobei aber schon die zeitliche Fixierung wiederum für eine gewisse Vagheit des Phänomens sorgt. Es ist daher überraschend, dass erst mit dem vorgelegten Buch von Susanne Schmidt eine systematische historische und kritische Auseinandersetzung mit diesem Konzept und damit auch mit dem Phänomen vorgenommen worden ist, wiewohl dieser Begriff in unserer Alltagssprache fix verankert erscheint.

Der Untertitel The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché mag unter Umständen zunächst noch ein gewisses Erstaunen hervorrufen, vor allem wenn der Begriff der Midlife-Crisis bereits als allgemeingültig wahrgenommen wurde. Eine feministische Revision dieses postulierten Lebensphänomens war notwendig, um die teilweise (historisch) verdeckten Implikationen der dafür eingeführten Beschreibung wie die gegenseitige Bedingtheit von Altern und Geschlecht oder von individueller und sozialer Realisation offenzulegen. Dank dieses kritischen Ansatzes wird deutlich, dass sich die wissenschaftliche Erfassung komplexer biographischer Situationen nicht in der Analyse der imaginierten Vorstellungen eines hegemonischen Status quo erschöpft.

Wenn die Autorin in der Einleitung darauf hinweist, dass es um die Geschichte der wissenschaftlichen und sozialen Konstruktion der Midlife-Crisis geht, wird schnell klar, dass es hierbei nicht um eine psychologisch-medizinische Aufarbeitung des Phänomens der Lebensmitte geht, sondern um eine wissenschaftliche Rehabilitation von Forschungsleistungen der – insbesondere feministisch geprägten – Geistes- und Sozialwissenschaften auf dem Gebiet „Wahrnehmung von menschlicher Erfahrung“. Das Buch verspricht daher keine neue Definition für einen Lebensabschnitt oder eine Lebenskrise, vielmehr zeigt es den inhaltlichen Wandel des Begriffs und damit auch der Konstituierung des Phänomens Midlife-Crisis im Laufe der letzten 100 Jahre, speziell seit dem Zweiten Weltkrieg in den USA. Dabei fokussiert Schmidt auf den Umgang der dominanten, männerzentrierten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Meinung in den ersten Jahrzenten nach 1945 vor allem mit feministischer Kritik und tut dies ausgehend von der Rezeption von Gail Sheehys Buch „Passages“ (1976). Schmidt organisiert ihren historischen Aufriss rund um die Einordnung von „Passages“ in die Kontexte der wissenschaftlichen, sozialen, kulturellen Umgebung, wobei die richtungsweisenden Texte für das sowohl wissenschaftliche als auch soziale Konstrukt der Midlife-Crisis im Mittelpunkt stehen.

Als Ausgangspunkt für die kritische Sichtung der maßgeblichen Positionen dient das lange dominierende Entwicklungsschema des Psychoanalytikers Erik Erikson, der in Anlehnung an Freudsche Ansichten acht Entwicklungsstufen bestimmte, wobei die meisten im Kindesalter angesetzt sind. Diese mit dem Gewicht wissenschaftlicher Autorität ausgestattete Sichtweise erfuhr durch Sheehys Buch, das sich als Bestseller verkaufte, eine nachhaltige feministische Kritik, die die Männerzentriertheit des Entwicklungsmodells von Erikson bewusst machte. Obwohl journalistisch vorgetragen, stützten sich die in Sheehys Buch angeführten Kritikpunkte auf eigene Recherchen unter Frauen sowie auf eine umfangreiche Rezeption der relevanten Literatur. Es war auch Sheehy, die mit ihrer Betonung der weiblichen Erfahrung im mittleren Alter (bei ihr zwischen 35 und 45) den Begriff Midlife-Crisis stark popularisierte. Während sie jedoch die Chancen für Frauen in der Krise hervorstrich, hielt sich der Begriff weiterhin als Bezeichnung für eine Krise der „Männlichkeit“, von Schmidt als chauvinistisches Klischee in den Untertitel genommen. Denn trotz Sheehys Erfolg konnte sich unter dem Vorwand der Wissenschaftlichkeit die traditionelle männerorientierte Definition der Midlife-Crisis behaupten, wonach der Mann nach erfolgter Familiengründung seine Pflicht getan habe und sich nun der Selbstverwirklichung widmen müsste. Die Ehefrauen sollten dafür Verständnis aufbringen und den Mann in dieser schwierigen Zeit unterstützen. Sheehys Erfolgsbuch wurde mit Plagiatsvorwürfen und der Behauptung, ihre Argumente seien nicht fundiert, nachhaltig bekämpft. Dazu verhalf auch die noch weitverbreitete Ansicht, dass Wissenschaft Männersache sei. Vor allem die Psychoanalytiker George Vaillant, Daniel Levinson und Charles Gould konnten sich mit ihren chauvinistischen Positionen behaupten.

Dass die Wissenschaftlichkeit dieser Bestimmung von Midlife-Crisis auf männlichen Füßen stand, führt Schmidt in ihrer Besprechung feministischer Werke, die das Fehlen weiblicher Stimmen in der vorherrschenden Denkrichtung kritisierten, im Detail aus. Titel wie Carol Gilligans „In a Different Voice: Psychological Theory and Women´s Development“ (1982) oder „Lifeprints“ (1983) von Caryl Rivers, Grace Baruch und Rosalind Barnett widersprachen mit empirischen Studien etwa der Annahme, dass beruflich erfolgreiche Frauen es nicht schaffen könnten, Beruf und Familie zu vereinen, und daher in Burnout, Depressionen und Scheidungen abglitten. Vielmehr befanden sie, dass es für die Lebenszufriedenheit förderlich sei, wenn Frauen nicht bloß als Ehefrau und Mutter zuhause blieben. Schmidt arbeitet anhand der historischen Debatten die soziale, kulturelle und wissenschaftliche Formung unseres Selbst- und Weltverständnisses heraus, worauf nicht zuletzt besonders von feministischer Seite hingewiesen wird. Zudem verfolgt sie die Wechselwirkung zwischen Journalismus und Wissenschaft, indem sie einerseits die Mächtigkeit der Institution Wissenschaft, aber auch deren Befangenheit in ihrer Systematik aufzeigt, die andererseits von einem investigativen Journalismus – im konkreten Fall von Feministinnen – offengelegt werden kann.

So wird mit Fortgang der Lektüre eine Erfolgsgeschichte weiblicher Emanzipation von vorherrschenden gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Voreingenommenheiten sichtbar, die durch kritische und engagierte Autorinnen geschrieben wurde. Allerdings lässt das Nachzeichnen einer Entwicklung auch Fragen offen, vor allem die Gegenwart betreffend. Zunächst ist aber auch zu fragen, was das Narrativ, das im vorliegenden Buch angeboten wird, übermittelt. Da sticht vor allem die Darstellung des Widerstreits um die Deutungshoheit des Phänomens Midlife-Crisis hervor, das sich je nach vertretener Position anders zeigt, vom chauvinistischen Klischee bis hin zur weiblichen Befreiung aus patriarchalen Strukturen, als von sozialen Strukturen wie der Familie induziert oder als universelle psychische Entwicklungsstufe vorgegeben. Schmidts Verdienst ist in dieser Hinsicht, auf die unterschiedlichen Kontexte zurückzugehen, aus denen der jeweilige Diskurs hervorging. So tritt der mächtige Einfluss der Psychoanalyse in den USA der 1970er-/1980er-Jahre sehr deutlich hervor, der dann von ökonomischen und sozialen Analysen zurückgedrängt wurde.

Schmidt geht es jedoch in ihrem Buch vor allem um die Richtigstellung, das heißt eine Einforderung des wissenschaftlichen Stellenwerts von Gail Sheehy, deren Erkenntnisse von einer männlich dominierten Wissenschaftskultur abgewertet wurden. Sei es als Frau oder als Journalistin: Ihre Argumente wurden nicht gehört oder als unbedeutend beiseitegeschoben. Trotz der wissenschaftlich-fundierten Auseinandersetzung mit dem Begriff zeigt Schmidt in ihrem Buch die Hartnäckigkeit und Beständigkeit eines bereits eindrucksvoll widerlegten Begriffs auf, wo paternalistisch Erkenntnisse abgewertet werden, wenn sie nicht im etablierten Wissenschaftsbetrieb formuliert wurden. Daher gelingt es Schmidt, ihr zentrales Vorhaben, am Beispiel der Midlife-Crisis das Aufzeigen der Leistungen des Feminismus im hartnäckigen Einbringen der weiblichen Erfahrung in das als universal ausgegebene männliche Welt- und Menschenbild, mit vielen Nachweisen umzusetzen. Das Buch ist darin erfolgreich, durch eine wissenschaftlich fundierte Rekonstruktion des Phänomens Midlife-Crisis eine Sensibilität für die komplexe Verfasstheit menschlicher Erfahrung zu erzeugen, die unzulässig verkürzt wird, wenn nicht die den Begriffen zugrundeliegenden Gestaltungsvorgänge wahrgenommen werden.